9. Feb 2020

Eine neue Form der Demenz

Presseartikel "DIE RHEINPFALZ — NR. 294, vom DONNERSTAG 19. DEZEMBER 2019"

LATE hat die gleichen Symptome wie Alzheimer – Diagnose bislang erst nach dem Tod möglich

 

Ein Artikel von JÖRG ZITTLAU

 

In Deutschland leben derzeit rund 1,7 MillionenMenschenmitDemenz.Die meisten davon sind von der Alzheimer-Erkrankung betroffen. Doch jetzt haben Wissenschaftler eine neue Formidentifiziert: die LATE-Demenz. Wir sprachen darüber mit Özgür Onur, dem Leiter der Arbeitsgruppe Altern und Demenz an der Universitätsklinik Köln.

Wie kam es zu der Entdeckung der neuen Demenz?
Wir beobachten schon seit Jahren viele Patienten, die zwar die Symptomatik derAlzheimer-Erkrankung aufwiesen, doch wenn wir dann nach ihren Bio-Markern – also die für die Erkrankung typischen Amyloide und Tau-Proteine – gesucht haben, konnten wir diese nicht finden. Oder um es plakativ auszudrücken: Alles sah aus und verlief auch so wie eine Alzheimer-Erkrankung, doch was fehlte, waren die passenden Laborwerte dazu. In Post-Mortem-Untersuchungen an den Gehirnen dieser Patienten zeigten sich Veränderungen, die man auch von anderen Demenzformen kennt und erstmalig an Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) und Frontotemporaler Demenz (FTD) entdeckt wurden, nämlich eine so genannte TDP-43-Proteinopathie.

Wofür steht LATE?
LATE steht für Limbic-predominant Age-related TDP-43 Encephalopathy. Das betreffende Protein steckt also
schon im Namen drin. Aber das Kürzel kann man auch noch aussprechen wie das englische „late“. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass diese Erkrankung oft erst im fortgeschritte Lebensalter auftritt.

Ist das nicht auch bei Alzheimer der Fall?
Ja, aber nicht so wie bei LATE. Post-Mortem-Untersuchungen haben eine besonders starke Zunahme mit dem Alter gezeigt.

Was bedeuten würde, dass diese Demenz-Form in folge der zunehmenden Alterung der Gesellschaft eine immer größere Rolle spielen wird, oder?
Richtig. Aber sie spielt wohl auch jetzt schon eine große Rolle. In den bereits erwähnten Post-Mortem-Untersuchungen fand man teilweise die LATE-Demenz genauso häufigwie die Alzheimer-Form.

Trotzdem scheint sie wenig Beachtung zu finden.Warum?
Möglicherweise, weil die Entdeckung von LATE bisher keine Konsequenz für den Praxisalltag hat. Denn wir haben ja noch keine Bio-Marker dafür. Das heißt, man kann diese Erkrankung noch nicht am lebenden Menschen erkennen. Und so lange das nicht geht, kann man sie auch nicht gezielt behandeln.

Wir sprechen also hier von reiner Zukunftsmusik, der wir noch nicht näher zuhören müssen?
Nicht unbedingt. Denn LATE weckt auch Hoffnungen auf die Alzheimer-Therapie, deren Entwicklung ja in den letzten Jahren immer wieder Rückschläge hinnehmen musste.

Inwiefern?
Sie bietet eine Erklärung, warum Alzheimer-Therapien und auch die Studien zu diesen Therapien oft nicht die Wirkung haben, die man sich von ihnen erhofft hat. Denn wenn es sich bei der behandelten Demenz gar nicht um Alzheimer handelt, sondern um LATE, können ja die Medikamente zur Behandlung von Alzheimer gar nicht wirken. Man schätzt, dass ein gehöriger Anteil der Patienten, die anhand ihrer klinischen Symptome eine Alzheimer-Diagnose erhalten, in Wirklichkeit an LATE erkrankt sind. Die sind bisher einfach nur als so genannte Non-Responder, bei denen die herkömmlichen Alzheimer-Therapien
partout nicht wirken wollen, hinten rausgefallen. Sofern aber erst mal die Bio-Marker und damit Methoden zur exakten Diagnose von LATE da sein sollten, würde das nicht nur die Therapie-Chancen für diese Erkrankung, sondern auch für Alzheimer erhöhen. Denn dann könnte man beide mit viel größerer Präzision behandeln.

Wann ist denn damit zu rechnen?
Ich hoffe, dass dies in einigen Jahren der Fall ist. Bis dahin sollten bei Demenzverdacht die Alzheimertypischen Biomarker bestimmt werden. Wenn diese unauffällig sind, wird LATE wahrscheinlicher.

Wie sieht denn insgesamt die Situation bei der Therapie von Demenzerkrankungen aus? Gibt es Entwicklungen, die einen Durchbruch erwarten lassen?
Ein wirklicher Durchbruch ist aktuell nicht abzusehen. Nichtsdestotrotz gewinnen wir auch mit jeder gescheiterten Studie Erkenntnisse, die in der Weiterentwicklung helfen und uns hoffentlich näher ans Ziel bringen.

Noch gibt es keine Heilung für Alzheimer-Patienten. Aber Forscher kommen ständig zu neuen Erkenntnissen FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA